© Flurin Bertschinger
Einfach zu gehen ist das Radikalste, was wir heutzutage tun können: Mehr Selbstbestimmtheit geht nicht. Permanent verfügbar zu sein, abhängig von unzähligen digitalen Universen, ist kein haltbarer Zustand. Wir sehnen uns nach Ruhe, aber wir ertragen sie nicht. Also gehen wir zu Fuss. Und wir bemerken es kaum, aber eigentlich fallen wir dabei. Mit jedem Schritt fallen wir leicht nach vorne. Und fangen uns wieder auf. Fallen und Fangen, ein Leben lang.
Wer geht alles mit uns mit – eigensinnige Weggefährt:innen, hundsgewöhnliche Fundstücke und beflügelnde Erinnerungen, Wut über eine Welt, die sich selbst davonläuft? Wie finden wir unser eigenes Tempo mit Leichtigkeit? Mit diesen Fragen sind die beiden Schauspieler:innen und langjährigen Bühnenpartner:innen Stina Durrer und Werner Bodinek vor rund zwanzig Jahren ins vertraute Ungewisse losgezogen. Das Ergebnis ihrer Forschungen ist ein Theaterabend unter dem Titel «Bienen des Unsichtbaren».
Die Poesie und Musikalität des Gehens gab ihnen dabei den Rhythmus vor. Als Flaneur:innen gingen sie natürlich höchst suspekt: mit langsamem Gang und vordergründiger Ziellosigkeit. Unterwegs haben sie ein generationenübergreifendes Team gefunden, das mit ihnen den Weg des Zufalls sucht. Für einen Abend verlegen sie ihren Weg in den Theatersaal und lassen das Publikum an ihrem Sammelglück teilhaben.
Künstler:innen sind «Bienen des Unsichtbaren»: Sie sammeln unablässig den Honig des Sichtbaren und lassen das Wesen der Dinge unsichtbar in sich aufsteigen – so fasste Rainer Maria Rilke künstlerische Arbeit in ein eindrückliches Bild. Wenn wir gehen, macht der menschliche Körper sichtbar, was uns auf den ersten Blick unsichtbar erscheint. Er zeichnet einen Weg durch den Raum und hinterlässt dabei deutliche Spuren. Er trägt die Geheimnisse in sich, die sich nicht vorhersehen lassen. Mit seinem zweckfreien ungerichteten Gang verfolgt er als Vorgang nichts anderes, als in Resonanz mit sich und der Welt zu treten. Eine Welt, die sich immer rascher dreht und uns mit ihrer Informationsflut zunehmend überfordert. Wenn wir in unserem eigenen Tempo gehen, erobern wir uns einen Resonanzraum zurück.
Die Produktion wurde ausgehend vom Roman «Spaziergänger Zbinden» von Christoph Simon (erschienen im Bilgerverlag, Zürich) entwickelt - und vielen weiteren literarischen Vorlagen. Eine ausführliche Literaturliste des Gehens findet sich unter www.bodinek.ch.
Nach «Ein Vorhang aus Rasierklingen» (Premiere Dezember 2022) bringt Werner Bodinek seine nächste Theaterkreation als Koproduktion mit der Bühne Aarau in der Tuchlaube heraus. Mit Stina Durrer kehrt seine langjährige Bühnenpartnerin nach einer ausgiebigen Theaterpause wieder an seine Seite zurück. Sie bringt mit Christian Brantschen (u. a. Pianist bei Patent Ochsner) einen versierten Musiker mit, der neue Schritte wagt und das Schauspielensemble komplettiert. Mit dem Regisseur Johannes Voges und der Dramaturgin Anouk Gyssler erforscht eine junge künstlerische Leitung das Gehen als performativen Akt, gemeinsam mit Ausstatter Benjamin Burgunder, Lichtkünstlerin Edith Szabò und Produktionsleiterin Daniela Eggs.
Die Bar im Foyer der Tuchlaube öffnet an Vorstellungstagen eine Stunde vor Beginn der Aufführung.
Mit: Werner Bodinek, Christian Brantschen & Stine Durrer.
Piano & Komposition: Christian Brantschen.
Regie: Johannes Voges.
Dramaturgie: Anouk Gyssler.
Ausstattung: Benjamin Burgunder.
Lichtdesign: Edith Szabò.
Produktionsleitung: Daniela Eggs.
Koproduktion mit: Bühne Aarau.
ca. 1 Std. 20 Min.
Deutsch & Schweizerdeutsch
ab 16 Jahren
Nummeriert
Tuchlaube
Februar 2024
zVg
© Flurin Bertschinger
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